Leben

Dieter Sommer wurde 1938 in Trier geboren. Bereits als 14-Jähriger dekorierte er Schaufenster, mit 17 begann er seine Ausbildung in Malerei und Graphik an der Werkkunstschule Trier. Anschließend war er als Art-Director in verschiedenen Werbeagenturen tätig. 1965, als 27-Jähriger, erhielt er den Förderpreis der Stadt Salzburg für Lithographie. 1976 wurde er Dozent an der Académie Européenne Libre des Beaux Arts in Luxemburg. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Ramboux-Preis und dem Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Seitdem hatte er zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. Als Mitbegründer der Europäischen Kunstakademie hat er sich um das Kunstschaffen der Stadt Trier hohe Verdienste erworben. Im Jahr 2008 erhielt er bereits zum zweiten Mal nach 1976, damals gemeinsam mit Jakob Schwarzkopf, den Ramboux-Preis der Stadt Trier.
Dieter Sommer verstarb Anfang 2020.

Werk

Sommer hat die stilistische Vielfalt zum Prinzip erhoben. Er selbst bezeichnet sich als “Serientäter”, denn seine suchende, rastlose Neugier äußert sich meist in größeren Werkgruppen, in denen er eine Idee experimentell variiert. Dabei bedient er sich der Ölmalerei, der Collage, der Druckgraphik und der Zeichnung mit verschiedenen Stiften, wechselt ganz zwanglos zwischen den unterschiedlichen Medien, wie zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Darstellung.

Gallerie

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Biographie

… Ich sah die brennenden Domtürme einstürzen, es war so heiß, dass ich mir die Hand vors Gesicht halten musste, konnte nur durch die Finger blinzeln …

Er wurde 1938 in Trier geboren. Dieter J.J. Sommer, Johann und Jakob sind die damals unzeitgemäßen Vornamen seiner Großväter. Sommer wohnte mit Mutter und Schwester in der Sichelstraße. In Nachbarschaft vom Bischof-Korum-Haus. Die Trierer standen auf der Straße und beobachteten die Katastrophe. Das war 1944. Sommers Mutter beschloss, ihren Sohn in Sicherheit zu bringen. Der Junge wurde evakuiert und kam er zu seiner Großmutter aufs Land in der Nähe Frankfurts. In das väterliche Elternhaus. Zum Ende des Krieges waren die deutschen Truppen in Auflösung. Und eines Tages stand ein junger deutscher Soldat in der Haustür. Bat die Großmutter um Unterkunft und zivile Kleidung. Wollte von den Amis nicht in Uniform geschnappt werden und in Gefangenschaft geraten.

… Ich war wieder einmal bei dem Versuch, die Umgebung zu zeichnen, da kam dieser junge Soldat und bemerkte erstaunt, welche Mühe ich mir gab, etwas auf Papier zu bringen, freundlich bat er um meine Unterlage, Papier und Bleistift, setzte sich an meinen Platz und begann zu zeichnen …

Im Nu war das Nachbarhaus auf Papier, die Straße, der Zaun, das gegenüberliegende Haus und der kleine Weg dazwischen. Und die dahinterliegenden Häuser und Scheunen und Bäume. Die Strommasten mit durchhängenden Leitungen. Die Türen und Fenster mit Läden. Alles entstand wie gezaubert und genau an der richtigen Stelle. Der junge Sommer war tief beeindruckt und vermisste seinen bewunderten Freund sehr, der eines Tages wieder verschwand.

… Und dann hatte ich meine zweite Begegnung mit einem Erwachsenen, der zeichnen konnte, das war Herr Herbst, er wurde meiner Großmutter einquartiert von den Amerikanern, war von der US-Army angestellter Dolmetscher im Hotel-Casino im Nachbarort …

Herr Herbst hatte einen Riesenkasten mit Buntstiften. Seine Spezialität waren naturalistische Darstellungen von Rosen und Elefanten. Und Sommer durfte sich sogar wünschen, aus welcher Sicht Herr Herbst einen Elefanten zeichnen sollte. Und der Junge wünschte sich die Ansicht von unten, denn alles andere kannte er schon. Der junge Sommer. Durfte sogar mit Buntstiften zeichnen. Aber seine Blumen und Elefanten gelangen natürlich noch nicht so wie bei dem großen Meister und Förderer. Auch wenn die Elefanten eher mickrig gerieten, war das doch eine gute Lehre für den gelehrigen Nachahmer. Es sollte seinen künstlerischen Ehrgeiz anspornen. War der Keim für Vorstellungen. Und der junge Sommer zeichnete besessen auf alles, was er bekommen konnte. Auf Tapetenreste und Packpapier und Karton. Auf alles, was zeichnerische Versuche zuließ.

… Aber der erste, der meine Begabung erkannt hatte, war auch mein erster und richtiger Zeichenlehrer …

Der Junglehrer Kurt Moxter aus Frankfurt nahm den Jungen in seine Obhut und förderte ihn nach allen Möglichkeiten. Und der begierige Schüler durfte oder musste in den Unterrichtspausen mit farbiger Kreide auf die Schultafel zeichnen. Vergrößerte innere Organe von Mensch und Tier. Groß genug, dass es auch in der letzten Reihe erkannt wurde.

… Natürlich entstand damals mit meinem Ehrgeiz die Vorstellung, Zeichnen und Malen zum Mittelpunkt zu machen…

Sommer musste bald nach Kriegsende zurück nach Trier und zur Mutter. Und mit der festen Absicht Maler zu werden. Ein Künstler. Die Mutter sah das natürlich ganz anders. Etwas Richtiges und Anständiges sollte ihr Sohn lernen. Malerei war brotlose Kunst. Stellte sich ihren Sohn als Architekten vor. Das war nichts für Sommer, der sich von der Vorstellung Kunst zu machen, prädestiniert fühlte. Und er schloss mit der Mutter einen Kompromiss. Wollte erst einen Brotberuf erlernen, der auch mal eine Familie ernähren konnte. Zeichnen und Malen – das konnte er in der Freizeit weiter entwickeln und vervollkommnen. Sommer fing als Volontär in einem Werbeatelier an.

… In dieser eigentlich schwierigen Zeit der Selbstfindung lernte ich Dr. Carl Gockel kennen und er wurde mehr als ein Freund, er wurde väterlicher Berater und Lehrer und führte mich in eine Welt ein, von der ich bis dahin keine Ahnung hatte …

Carl Gockel war als Arzt Lungenspezialist, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausüben. Aber er malte, zeichnete und musizierte. Und schrieb hervorragende Kunstkritiken. Gockel, hochgebildet und gescheit, war ein außergewöhnlicher Kenner und Liebhaber französischer Literatur und Malerei. Hatte längere Zeit in Paris gelebt. Im Paris der dreißiger und vierziger Jahre. Davon schwärmte er wie von einer altgewordenen Geliebten. Er war es, der Sommer einführte in die Welten eines Rabelais, Balzac, Rimbaud, Verlaine und Maupassant bis zu Camus und Sartre. Er brachte ihm den Kubismus näher. Picasso, Braque, Gris. Und verhalf ihm zu Einsichten in die Farb- und Formsprache zeitgenössischer Malerei. Sommer las sich jahrelang durch die wichtigsten Ausgaben französischer Literatur. Nächtelange Gespräche und Diskussionen waren nicht vergeblich.

… Er war der wichtigste Mensch in meinem Leben, ihm verdanke ich alles, von ihm habe ich unendlich viel gelernt, in allen Gebieten der Kunst war er zuhause, er war mein Lehrer und Ziehvater …

Gockel war befreundet mit dem Trierer Maler Erich Kraemer und machte Sommer mit ihm bekannt. Wie auch mit dem Maler und Zeichner Jakob Schwarzkopf und dem Bildhauer Hans-Karl Schmitt. Sie drängten Sommer zu einem Mal- und Zeichenunterricht bei Peter Krisam. In der Trierer Werkkunstschule, der heutigen Fachhochschule. Krisam war auch Lehrer von Schwarzkopf, Schmitt und Kraemer, mit dem er auch gut befreundet war. Krisam hätte den jungen Sommer sofort aufgenommen. Aber eine Aufnahme bedingte entweder Abitur oder eine abgeschlossene dreijährige Lehre in einem artverwandten Beruf. Sommer hatte beides nicht. Und der Direktor sagte: Vorschrift ist Vorschrift.

… Ich musste etwas machen, was mir den Weg zu Peter Krisam ermöglichte, ich wäre sonst nicht weitergekommen …

Die Arbeit als Kinoplakatmaler machte Spaß, aber er war nur Volontär. In diesem Beruf gab es keine anerkannte Ausbildung. Also verließ er das Werbeatelier und begann eine Lehre als Schaufenstergestalter, machte seinen Abschluss und stand pünktlich zu Semesterbeginn an der Werkkunstschule wieder auf der Matte. Zur Aufnahmeprüfung. Krisam war ein hervorragender Zeichner. Seine Malerei war eher konventionell, aber von großer Klasse. Doch seine Zeichnungen stellten alles, was es weit und breit gab, in den Schatten. Das war der einzige Grund für Sommer, an der Schule zu bleiben und durchzuhalten. Er wollte so schnell wie möglich alle diese Anfängerarbeiten hinter sich bringen und bei Krisam richtiges Zeichnen und Malen lernen. Er wurde sehr schnell Krisams bester Schüler und sie verstanden sich gut. Bald verband sie eine enge Lehrer-Schüler-Freundschaft. Nach mehreren Semestern in der Klasse für Gebrauchsgrafik, wobei sich Sommers Begeisterung in Grenzen hielt, ging er noch einmal zu Peter Krisam und verließ dann ohne Abschluss die Schule. Er hatte genug, auch weil ihn das Studium nicht weiter brachte. Sommer machte sich frei. War Maler und Zeichner. Und hatte als Grafiker einen anständigen Beruf studiert. Außerhalb der Schule waren die Kontakte zu seinem Malerfreunden Erich, Jakob und Hans-Karl nie abgerissen. Aus dieser Freundschaft entstand eine enge Künstlergemeinschaft. Die Viererbande. So nannten sie sich untereinander. Für Kollegen außerhalb ihrer Gruppe waren sie die Malermafia.

… Die wichtigste Entdeckung der Zentral-Perspektive in der frühen Renaissance wurde nur durch die Erfindung der kubistischen Perspektive durch Picasso und Braque übertroffen …

Ständig wechselnde Bildansichten, ohne dass der Betrachter sich bewegt. Das Bild als Fläche begreifen und zu behandeln. Schließlich jedem Bild seine eigene Räumlichkeit zu verleihen. Eine Bildräumlichkeit, die absolut nichts mehr zu tun hatte mit der vorgetäuschten und starren Bildperspektive seit der Renaissance. Für Sommer ist das die Erfindung. Die völlig neue Bildsprache seiner Vorbilder Picasso, Braque und Gris und Matisse als Zeichner.

… Warum sollte ich Schwierigkeiten haben, an einem Tag ein abstraktes Bild zu malen, am nächsten ein naturalistisches Porträt, oder eine Tageszeitungsanzeige zu gestalten, oder eine Figurengruppe …

Stil zu haben scheint für Sommer nicht wichtig. Nicht unbedingte Notwendigkeit. Vielfältigkeit war wichtiger. Denn er erkannte die Gefahr, sich selbst zu kopieren. Und so kompensiert er diese Maxime mit hohem Arbeitsaufwand. Er will keine Vorstellungen neuer Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten aufgeben um den Preis der Unverwechselbarkeit. Das gehört nicht zu seinem Konzept.

… Ich habe mir erlaubt, mit meinen zeichnerischen Möglichkeiten sehr unterschiedlich von Zeichnung zu Zeichnung zu wechseln, sogar innerhalb einer Zeichnung mehrere Stile unterzubringen, sie miteinander zu verschmelzen, widersprechende Zeichensysteme zu arrangieren oder in spannende Kontraste zu setzen …

Sommer begeht ständig Stilbrüche. Sie sind zur Leidenschaft geworden. Zu seinem Markenzeichen, auf das man sich verlassen kann. Er experimentiert mit allen brauchbar scheinenden Materialien und mit sich daraus ergebenden Techniken. Ständig erweitert er sein Formenvokabular, um sich in die Lage zu versetzen, Vorstellungen gestalterisch umzusetzen, die mit festgelegter Arbeitsweise und Stil nicht zu realisieren wären. Formenfindung wird zu seiner Stärke.

Sommer und Erich Kraemer hatten mit ihren Familien ein altes Herrenhaus in der Nähe Triers bezogen. Das Wohnhaus des ehemaligen Besitzers der Eisengießerei in Quint. Diese Gießerei wurde wenige Jahre später geschlossen. Auf dem Fabrikgelände entdeckt Sommer in einer verfallenen großen Lagerhalle farbige Holzmodelle in Originalgrößen, die über Sandabformung für Guss von Motorgehäusen, Getrieben und Maschinenteilen benötigt wurden.

… Eine fantastische Szenerie, in der dunklen Halle waren die Gussformen in wandhohen Regalen bis zur Decke gestapelt, alle mit einer dicken schwarzen Staubschicht überzogen …

Ein unwirkliches Bild. Die unterirdische Grabkammer einer unbekannten Welt. Ein halber Motorblock oder ein Getriebekasten in negativer Abformung waren in dieser düsteren, verstaubten Halle ein beeindruckendes Bild. Fassungslos geht Sommer durch die endlos langen Regalreihen mit immer neuen Formen und Überraschungen. Das war fantastisch. Seltsame Vexierbilder. Sein Auge wird ständig getäuscht. Er weiß nicht, welcher Sicht er trauen soll. Dem offensichtlich negativen oder dem vermeintlich positiven Abbild. Diese Erkenntnis des ständig wechselnden Eindrucks von positiv und negativ hat bei der Entstehung des klassischen Kubismus zu neuen Formfindungen geführt und wurde bei vielen Bildarrangements von großer Bedeutung. Sommers Staunen wird Begeisterung. Er ahnt, dass diese Gussstücke schon einen idealen Formenschatz enthalten. Formen, deren starke Ausstrahlungskraft bestens geeignet sind, um seine nachkubistische Bildsprache weiter zu entwickeln. Schon Tage später verändert dieser erkannte Rohstoff den Ausdruck seiner Bilder. Auch Erich Kraemer kann sich der Faszination dieser verstaubten alten, aber technoiden Formen nicht entziehen. Zwischen den Malerfreunden besteht bald Konsens. Sie arbeiten an gleichen Formproblemen und ihre Bilder gleichen sich. Nicht einmal Spezialisten können sagen, ob sie vor einem Kraemer oder einem Sommer stehen.

Nach Kraemers Tod 1994 schlägt Sommer abermals neue Richtungen ein. Erweitert das Suchfeld seiner künstlerischen Vorstellungen. Schafft in unglaublicher Vielfalt überraschende und unverwechselbare Werke. Bilder, Zeichnungen, Plastiken, Collagen, Druckgrafiken. In Techniken, die noch niemand versucht hat. Die erst erfunden werden mussten. Sommer ist der Letzte der unbequemen Viererbande. Von seinen Malerfreunden Erich Kraemer und Jakob Schwarzkopf und Hans-Karl Schmitt blieben nur ihre Einflüsse und ihre Werke. Dieter J.J. Sommer ist gelassen und ruhig geworden. Und geduldiger. Er lebt in Gutweiler bei Trier. Eingenistet zwischen Kachelöfen und leidenschaftlich gesammelten Kunstbüchern und astronomischer Fachliteratur. Und an einem Arbeitstisch voller Papierschnipsel und Skizzen und Werkzeugen. Mit seinen Gedanken an Zeichnungen und Bildern. Werke, die Freunde und Bewunderer begeistert haben. Und die noch immer wieder davon überrascht werden.

Gerhard Kirschbaum